Die stärksten Geburtenjahrgänge altern in diesem Jahrzehnt in die Pension, an ihrer Stelle kommen vergleichsweise geburtenschwache Jahrgänge ins Erwerbsalter. Wie wird sich der Arbeitskräftemangel auf die verschiedenen Branchen auswirken?
Heute ist ein guter Tag für eine kleine Problemstellung. In den vergangenen Wochen war und ist bezüglich der Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP ja viel die Rede davon gewesen, wie die Republik sparen bzw. Steuern erhöhen soll, auf wen neue Abgaben zukommen könnten, und so weiter. Wichtige Fragen zweifelsohne, aber eher das Pflichtprogramm als die großen Themen, derer sich eine Regierungskoalition in den nächsten Jahren annehmen sollte.
Zu einem solchen Thema gibt es aktuell eine exzellente neue Unterlage: Der Frage nämlich, wie sich die demographische Herausforderung – die stärksten Geburtenjahrgänge altern in diesem Jahrzehnt in die Pension, an ihrer Stelle kommen vergleichsweise geburtenschwache Jahrgänge ins Erwerbsalter – auf den bereits jetzt beträchtlichen Arbeitskräftemangel auswirken wird.
Das Wirtschafts- und Arbeitsministerium unter Martin Kocher hat dazu eine umfangreiche Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche mitfinanziert und online gestellt, die die Thematik nach Wirtschaftsbereichen getrennt analysiert. Und auch, wenn just in dieser Zeit des Scheiterns der Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos sowie der Hinwendung der Volkspartei zu den Freiheitlichen wegen die öffentliche Debatte anderswo fokussiert war: Man sollte die Ergebnisse gelesen haben.
„Angesichts des bereits heute ausgeprägten Fachkräftemangels in der Industrie sollten bei den Verantwortlichen sämtliche Alarmglocken schrillen. Es steht nämlich zu befürchten, dass vor allem Vorzeigebetriebe abwandern könnten, wenn es dafür keine Lösung gibt“, erklärt der Ökonom Robert Stehrer, einer der Autor:innen der Studie.
Wie kommt er zu dem Schluss? Nun, die Ausgangslage darf man als bekannt voraussetzen, sie war hier schon gelegentlich Thema. Aber noch einmal die Altersstruktur der österreichischen Bevölkerung:
Wie schon besprochen: In den nächsten Jahren werden die „Boomer“ in Pension gehen. Damit sinkt nicht nur der Anteil der Menschen im Erwerbsalter von 15 bis 64 Jahren im Land, sondern auch ihre absolute Zahl: Während 2022 noch 5,98 Millionen Menschen in Österreich zwischen 15 und 64 Jahre alt waren, werden es schon zehn Jahre später in der Hauptvariante der Bevölkerungsprognose nur noch 5,84 Millionen sein – ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sinkt damit von 66 auf 62 Prozent.
Auswirkung auf die Branchen
Klingt nicht nach viel, wird aber drastische Folgen haben, weil der Sozialstaat bei einer alternden Bevölkerung nicht gerade billiger wird.
Die Autor:innen vom wiiw haben für ihre Studie errechnet, wie sich der Arbeitskräftemangel durch diese Alterung in welchen Branchen spezifisch auswirken wird. Auf Basis der Trends der vergangenen Jahre haben sie zum Beispiel festgestellt, dass die Zahl der Arbeitskräfte in folgenden Bereichen besonders stark abnehmen wird:
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Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft: 3,0 auf 1,9 Prozent der Erwerbsbevölkerung
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Techniker:innen und gleichrangige Berufe: 18,2 auf 16,2 Prozent
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Bediener:innen von Anlagen und Maschinen bzw. Montageberufe: 5,2 Prozent auf 4,5 Prozent
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Steigen wird zum Beispiel die Zahl der Menschen in akademischen Berufen (z. B. Lehrer:innen) – von derzeit 20,9 Prozent auf 26,4 Prozent
Jetzt ist das nicht grundsätzlich schlimm – es zeigt aber, dass die demographische Entwicklung die produzierenden Unternehmen, also die Industrie besonders stark treffen wird. In den Worten der Studienautor:innen Stehrer und Stella Zilian klingt das so: „Nicht zuletzt die exportorientierte Industrie – immer noch das Rückgrat der heimischen Wirtschaft – steht im Wettbewerb um Talente mit anderen Branchen und könnte in Zukunft unter größeren Engpässen bei Facharbeiter:innen in der Produktion und bei Beschäftigen mit mittlerer und höherer Bildung leiden“.
Darauf, dass durch technologischen Fortschritt die Produktivität so weit steigen wird, dass dieser Rückgang des Arbeitskräfte-Pools ausgeglichen werden könnte, sollte man sich nicht verlassen: „Das würde bedeuten, dass die Produktivität pro Jahr etwa dreimal so stark ansteigen müsste, wie sie das in den Jahren 2011 bis 2019 getan hat“, sagt Zilian.
Migration als Ausgleich
Bleibt also Migration, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen. In den Worten der Studie:
Hinsichtlich der Möglichkeit, den drohenden Arbeitskräftemangel durch Zuwanderung auszugleichen, ist jedoch auch zu erwähnen, dass das Arbeitskräfteangebot in Europa ebenfalls durch demografische Entwicklungen in den nächsten Jahren eher sinken wird. So schrumpft im Baseline-Szenario von Eurostat die Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren um etwa 5 Millionen Personen. Insbesondere schrumpft diese Bevölkerung auch in den Ländern (z. B. den osteuropäischen), aus denen Österreich in der Vergangenheit Arbeitskräfte rekrutieren konnte. Auf europäischer Ebene wird es folglich umso mehr nicht nur zu einem Wettbewerb um Talente, sondern zu einem Wettbewerb um Arbeitskräfte kommen, bei dem z. B. Löhne, Arbeitsbedingungen sowie das sozioökonomische Umfeld für Migranten und Migrantinnen eine wesentliche Rolle spielen werden.
Ich lese da die sehr konkrete Empfehlung, Österreich sollte sich schleunigst daranmachen, sich zu überlegen, wie es für Arbeitsmigrant:innen attraktiver werden kann – und zwar idealerweise für solche mit technischer Ausbildung. Sonst wird sich das mit dem heimischen Wohlstand mittelfristig nicht gut ausgehen.
Ich bin gespannt, was sich FPÖ und ÖVP dazu überlegen.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
Quellen
Bundesministerium Arbeit und Wirtschaft: Studie: Beschäftigungswirkungen der österreichischen Exportwirtschaft und demografische Szenarien
Das Thema in der WZ
Arbeit, Alter, Ausblick: Österreichs demografischer Spagat
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